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Karanok City
Magic van Lam

Er stand so da und weinte. Seine weiße Haut schimmerte in der Sonne und einige Wassertropfen wiesen sich als Schweiß aus. Seine Gedanken schlugen Saltos in einem Raum, der gerade zum Leben reichte. Ein dreckiger Tisch stand da und eine Matratze lag auf dem Boden. Einige Stoffetzen zeigten sich als Teppich und Kleidung zugleich. Auf dem Tisch standen einige Flaschen herum, und ein dreckiger Teller zeigte mit einem verkrusteten Rand die letzte Speise und auch, wie lange er nicht mehr benutzt wurde. Der Tischrand war voller Asche und an einem Tischbein lagen die dazugehörigen Zigarettenfilter. Der Raum hatte nur eine Tür und auch noch ein kleines Fenster. Vor dem Fenster standen einige Mülltonnen und manche von ihnen brannten. Die Kinder spielten in einem Meer voller Dreck und Müll und während sie spielten, suchten sie auch etwas zu Essen. Die Erde neben dem Müll war nass und selbst das letzte bißchen Gras war gegessen worden. Der Hunger wurde immer unerträglicher und er stand an seinem Fenster und weinte.

Die letzte Zigarette hatte er noch im Mund und die Asche flog leicht und locker auf seine nackten Füße. Er spürte es kaum. Die Gedanken ließen ihn nicht mehr los. Er setzte sich auf den Boden, rauchte weiter, schloss die Augen und fing an zu Phantasieren, wie er es gerne tat um den Hunger zu vergessen.

Er fragte sich, warum er so anders war und er fragte sich, warum diese Welt so anders war. Warum was so war wie es war und war es überhaupt wahr? Ist nicht alles ein Traum? Würde er nicht endlich bald aufwachen und feststellen, dass alles nur ein böser Traum war? Leider war es die Realität und er war gefangen in einer Welt, die nicht verstanden hat wie man sich fühlt, wenn man anders war. Er war im Ghetto und gefangen. Am Rande einer Existenz, die sich nicht einmal Zivilisation nennen kann. Am Rande einer Stadt, die die beste Technologie besitzt aber keinen Funken Würde und Toleranz. Es existierten nur noch Rassisten und Unterdrückte. Er war die zweite Klasse einer Klassifizierung, die keinen Sinn machte, so wie alles auf diesem Planeten. Was ist falsch gelaufen? Werden die kleinen immer gefressen, auch von der eigenen Rasse? Tötet eine Rasse sich selber, wenn sie schon alles andere getötet hat? Sind wir nur noch zum Töten da? Ist der Sinn des Lebens nur der, dass man am Ende doch nur stirbt?

Er kannte als einer der wenigen die Stadt und er wußte, wie sie waren; die anderen. Er hat gehört, wie sie reden und er hat verstanden, was sie denken. Er hat versucht, es nicht zu glauben doch es ging nicht anders. Man erkannte ihn schon von weitem und er wurde für seine Existenz verspottet. Dafür, dass er lebte. "An deiner Stelle würde ich mich umbringen!" "Außenseiter!" "Parasit!" Er kann die Stimmen der anderen immer noch laut in seinem Kopf hören. Er hat es nie verstanden, er hat geweint. Die Existenz seines Volkes bestand nur darin, alles in Gut und Böse zu teilen. Es war anscheinend die einzige Aufgabe. Die Mehrheit war seltsamerweise immer "gut" und eine Minderheit musste leiden. Es ergab keinen Sinn, aber es schien so zu sein, und auch er konnte an dem Hass seiner Menschen nichts ändern. Dieser unentwegte Hass. Ein Wesen haßt sich doch nicht selber? Anscheinend aber schon. All diese sinnlosen Kriege machten ihn krank und es tat weh. Die Schmerzen seiner Vorfahren und all den anderen Mitleidenden scheinen sich in ihm zu vereinen und zu explodieren. Der Hunger brachte ihn schon fast um.

Er stand auf und kratzte ein Stück Masse aus der Wand. Aus seiner zerfetzten Hose nahm er ein Feuerzeug und zündete es an. Die Masse glühte vor sich hin und er atmete den schwarzen Rauch ein. Er war benebelt.

Er legte sich wieder hin und atmete schwer. Seine Fantasie brach aus und die Bilder, die er sah, zeigten ihm all das Grauen und all das Elend auf diesem Planeten. Die Kinder die starben und all diese Fäkalien. Er konnte es förmlich riechen. Die Waffen, die er sah, jagten ihm Angst ein und er wälzte sich auf dem Boden. Seine Schreie waren vom weitem zu hören, doch keiner reagierte, weil alle schrien. Er sah alles anders als alle anderen. Er sah nur Gewalt und alles, was er einmal als Kind sah, schien so unwirklich zu sein. Seine Gedanken schienen wie besessen von Gewalt zu sein. Seine Schreie klangen nach einer Hölle der Verzweiflung und nach Hunger. Sein Durst wurde an guten Tagen vom Regen gestillt. Gestern war ein guter Tag, doch heute ist die Hölle in seinem Kopf. Er schlug auf den Boden, weil er es nicht mehr aushielt. Seine Arme verkrampften sich und seine Adern waren sehr deutlich zu sehen. Seine Nägel waren lang und er fing an, sich zu kratzen. "Ich will dich nicht mehr! Ich will dich nicht mehr!!" schrie er und schaute wie besessen auf seine Arme. Nachdem er blutete nahm er sich seinen Bauch vor. Er sah immer grausamere Bilder und er kratzte sich immer mehr. Seine Beine, seine Füße, sein Gesicht und seinen Rücken. Alles war voller Blut und er schrie nur noch. Seine Schmerzen waren unbeschreiblich und er zündete immer wieder seine Haut an. Stück für Stück zündete er sich an. "Ich will dich nicht mehr!! Ich will dich nicht mehr!!" schrie er immer und immer wieder. Sein Hass war gegen sich selbst gerichtet. Gegen seine Existenz. Der Rauch hat ihm seine Illusionen genommen und seine Wahnvorstellungen verstärkt. Jede Hoffnung wich von seinem Körper und der blanke Hass der anderen hat sich in ihm vereinigt. Er glaubte das, was andere sagten und er dachte sich, dass sie schon Recht hatten. So viele können sich nicht irren und er war Abschaum. Er war der Außenseiter und er war nur dafür da, den Hass in anderen zu schüren. Und dann? Dann sei es wohl das beste, sich selber zu töten, dachte er. Es wurde also Zeit für ihn und er versuchte, es so schmerzhaft wie möglich über die Bühne zu bringen, damit sich anderen an dem Anblick seiner Leiche ergötzen können. Die anderen würden dann sagen, wie toll er doch wäre weil er das alles begriffen hat und sie würden ihn wenigstens nach seinem Tod lieben, dachte er.

Der Boden war blutrot und er stand mit letzter Kraft auf, um an sein Fenster zu gehen. Das Blut war auf dem Boden verteilt und ein wenig vom Rauch war noch in seinem Kopf drin. Er sah diesen Planeten zum ersten mal so, wie es die anderen sahen. Er als Außenseiter hat es nie verstanden, doch heute, an dem Tag seines Todes, sieht er zum ersten mal das, was andere schon immer sagten. Alles war grün, grün wie die Natur es war und auch die anderen, die Besseren, waren grün. Er hingegen war nur weiß und das war eine Schande! Er war kein Abkömmling der Natur, er war ein Abkömmling einer anderen Rasse, einer schlechten Rasse und erst jetzt hat er es verstanden. Die anderen waren grün und die verbündeten der Natur. Er hatte mit seiner weißen Haut in der Natur nichts zu suchen und war somit verhasst, so wie die anderen weißen in den Slums. Er hatte die Hoffnung, in einem anderen Leben als ein Zugehöriger der Natur geboren zu werden. Als einer der Grünen und nicht mehr als Abschaum. Er fühlte sich als Abschaum und es wurde ihm auch ziemlich deutlich gemacht. Heute war der Tag, an dem alles sein Ende nahm. Er fiel auf den Boden und schlief ein. Keiner merkte etwas und keiner wollte etwas davon wissen. Die Welt war zu sehr mit sich selber beschäftigt, um auf den kleinen weißen Außenseiter zu achten, der gerade gestorben ist. Es sind zu viele gestoben, um auf diesen einen Rücksicht zu nehmen.

Magic van Lam