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DON HAI - alo dahom
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Mit einem geheimnissvollen Klick rastet die Powertaste ein. Die dezent gesetzten Leuchtdioden spenden ein vertrauenerweckendes grünes Leuchten in der von Knöpfen übersähten Fassade dieser computergesteuerten klangerzeugenden Anlage.

Andächtig wird der fabrikneue Tonträger enthüllt, die dramatische Oper in drei phantastischen Teilen verschwindet gespenstisch lautlos in einem scriptgesteuerten Klappschubfach des schwarzen Power-Towers.

Marcatto Maggiore. Ruhigen Gewissens programmiere ich eine Leistungsabgabe von 30%, die sich a tempo steigern soll, bis gegen Ende dieser Aufführung 75% der maximalen Leistung erreicht wird. Ein Knopfdruck, eine bislang unbekannte Welt kommt mir zu Ohren.

Erwartungsvoll fülle ich mein Sektglas und sinniere hingebungsvoll über diese smarte Rosenknospe in ihrer feinzisillierten Silbervase, bis ich rülpsend in der angenehmen Tiefe meines Ohrensessels versinke, den eisgefüllten Sektkübel in Griffweite.

In gedäpftem Con expresivo ertönt die wohlbekannte Overtüre zum ersten Akt. Benommen inspiriert gieße ich Sektperlen nach und verspüre heftig die romantische Ader in meinen inneren Tiefen nach Raum suchend.

Diese neuartige Aufnahmetechnik entfaltet ehrgeizig ihren digital unterstützten Klangreichtum und skizziert nahezu spielerisch die geballte intellektuelle Leistung in einer nachahmungswerten Lebhaftigkeit. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Die Betongehäuse der vier Lautsprecher sind ihr Geld wert. Comodo Patetiko, der Geheimtip, sie mit Zweizoll-Ketten zu befestigen, bereichert den partiachalen Detailreichtum dieses lieblichen Gesamt-Aranchments, sie fügen sich säulengleich in das historisch orginalgehaltene Erscheinungsbild dieses architektonischen Kleinodes.

Ad libitum verfolge ich romantisch verklärt die Höhepunkte im ersten Akt dieses grandiosen Werkes in jener alleingelassenen Sonntagsnacht.

Das Cola Parte einer eben abgelaufenen Solo Arie der jungfräulich liebesdurstigen Hauptfigur war von so klarer, reiner Durchdringungskraft - die Fensterscheiben konnten nicht wiederstehen, hingerissen splittern sie fassungslos zu Boden. Durch den entglasten Alurahmen weht ein angenehm frisches Lüftchen, bläht die Gardinen auf und kühlt die marmorierten Steinplatten. Das orginal Kerzenlicht des 13-armigen Leuchters beleuchtet flackernd unheilvoll dieses spannungsgeladene Szenario.

Nachdem die Sektflasche quer auf dem Chinateppich ruht, beginnt Con Crescendo der zweite Akt. Gravely ist die Stimmung im Dachgeschoss des Einfamilienhauses. Hingebungsvoll aufgelöst lausche ich dem meisterlichen Tonkonstrukt des raumübergreifenden dritten Aufzugs des ersten Aktes.

Mit verlässlicher Präzision regulieren die digitalen Schaltkreise den Spurwechsel des Datenträgers im Feinstraumklima des Klappschubfachs. Die ausgereifte Elektronik dieses schwarzen Monster-Monoliths steuert, immer darauf bedacht, kein einziges seiner kanalisierten Elektronen zu unterschlagen, ihre importierten Impulse und entläßt unsichtbar geistreiche Energiewellen feedback-gepuffert in den echoangepassten ressonanten Raum hinaus entschweben.

Das Drama kündigt sich deutlich an, als der kriegerisch gesinnte Hauptdarsteller in einem appasionent ergreifenden Geplärre seine ungestillte Liebe eingesteht, dezent getragen durch den kanonisch mehrstimmigen Chor seiner zustimmenden Kammeraden. Brav hüpft die betonummantelte Lautsprechersammlung auf ihrem Granitsockelgeviert, die Paukenschläge des Allegro Furiosso husten einsatzbereit befreiungswütig die engrenzenden Wände an. Relevante Risse im Qualitätsgips zeugen von der Wertarbeit.

Moderat gleitet der Schall durch das rustikal offene Dachgebälk, das sonore basso energico steigert sich langsam seinem 50% leistungsgedämpften Höhepunkt entgegen, ein leises Knacken der Dachkonstruktion erinnert respektvoll an die ungezählten Übungsstunden metronom geplagter Streicher. Poco apoco steigt konzertant die Leistung genussvoll hochdramatisch an zu bislang ungeahnten Klanghorizonten hinauf.

Dolente mischt sich das gewagte Glockengeläut der dritten Neuinszenierung unter das helle Treiben dieses köstlichen Elfentanzes. Symbolisiert durch wehende Gardinen im flackernden Kerzenschein vor nachtschwarzem Sternenhimmel entwickelt sich der rein illusorische Eindruck der Zartheit dieser inspirativ hingehauchten Kreation eines wahrhaft einmaligen Elfen-Reigens. Das virtuelle Wirken lustvoll teilnehmender Liebesgöttinen erhält greifbar nahe eine Transmisionsphase in bisher nicht erlebte Sphärendimensionen, aus dem Trichterhorn-Hochtöner perlen die Piccolo Flöten wie aus einem Hackfleisch Quirll.

Die antike Gipsbüste vom unvergesslichen Schöpfer dieses Meisterwerkes gleitet lebhaft vibrierend an den vordersten Vitrinenrand, dass ihr nur ja nichts entgeht.

Nicht zuletzt dank der vielen vergoldeten Teile dieses multitonalen Tongenerators, baut sich hier eine unbeschreibliche Klangkathedrale auf, die eine geradezu atemberaubende, raumübergreifende Eigendynamik entwickelt. Die ersten Gipsbrocken fallen nichthörbar staubumhüllt kometengleich zu Boden. Das gesamte Bühnenbild paßt sich dem scheinbaren Chaos der musikalischen Stimmenschlacht gegen Ende des zweiten Aktes an. Mehr beiläufig harmonisiert das Bersten vereinzelter Dachbalken naturgewollt integrativ, haarfeine Risse wachsen Eisblumen gleich an den Wänden empor und verleihen der Athmosphäre schaurigsüss eine bizzare Note.

Der schonungslos entbrannte Kampf unter dem schauspielerischen Material belegt die Gradwanderung des schöpferischen Komponisten durch den komplizierten synkoptischen Wechsel vom düsteren Es-Moll in die erhabene A-Dur, welcher nahezu traumatisch das äusserst komplexe Gleichgewicht der Kräfte deutlich nachvollziehbar ausdrückt, bis genialerweise, durch wirkungsvolles Unterschlagen der entscheidenden Akkorde, dieses feurige Spiel seinen entscheidenden Gipfel darin findet, dass es die tote Materie der Dachkonstruktion in einer kozentierten Aktion seitens der vier Lautsprecher unaufhaltsam in die gravitationsbedingte Tiefe treibt, während der einfühlsam mitfühlende Dramatiker, die Noten im Geiste ergänzend, in die unvergänglichen Weiten des über ihm frei gewordenen Universums emporschwebt.

Ein unbeherrscht schwerer Mauerstein beendet diesen gigantischen Akt und unterstreicht, einem Fingerzeige gleich, die volle Dramaturgie dieser zeitgemäss aktuellen Handlung, die Kräfte sanfter Liebesbande gnadenlos offenbarend.

Nachrieselnde Mörtelklumpen immitieren verhalten die Konzertpause, während sich die Bühnenbeleuchtung konstruktiv schattenzentral, die Umstände ahnend, wie von Geisterhand gelenkt umgestaltend anpasst. Die Gardinen jubeln unübersehbar triumphierend ihren feurigen Applaus, begleitet durch leises Knistern, das entfernt an stampfende Schuhsohlen edelsten Leders erinnert, bis endlich die Energien restlos umgesetzt werden konnten, sammeln sich neugierig teilhabend die Kräfte zu den eindeutigen vorbereitenden Geräuschen aus dem tiefergelegten Konzertgraben.

Die komopsitorische Spannung im Auftakt zum brillianten dritten Teil kündigt von der leidenschaftlichen Hingabe der Gesangs-Spezialisten, weiterentwickelt durch das Charakteristikum dieser volldigitalisierten Anlagenkonzeption, den basisbezogenen Gesamtrahmen dieser in der Geschichte wohl einzigartig materialfordernder Opernaufführung, aufgeführt in voller Blüte sich entfaltend, mitleidend den Ausgang eines göttergewollt verworrenen Liebesdramas mitzuteilen.

Eine Reihe Dachziegel des Nachbargebäudes rauscht wild scheppernd hernieder, als wolle sie Beifall spenden, und spannt damit den Bogen weit über die Balkonbalustrade hinaus auf die immaginären Zuschauerplätze im bürgerlich biederen Vorgärtchen, während das schlachtengleiche Stimmengetöse der eifersuchtsgeblendeten Liebesrivalinen nach den gefestigten Gesetzen einer erweiterten Harmonielehre seinem argumenetativ konfrontierenden Höhepunkt entgegentaktet.

Die Trompeten der Siegesfeier schmettern den zweiten Mittelhochtöner des dritten Lautsprecherschrankes gnadenlos aufgeweicht in das Schicksal des Augenblicks und schleudern seine schwarze Kautschukmembran in das düstere Bild. Gespestisch gehalten durch zwei engumschlungene Drähte belebt er kurzzeitig die Bühne mit letzten Zuckungen der herausspritzenden Klangsequenzen, bis ihm nach Happening Art ein vorher nicht bestimmter Ziegelstein das Bergräbniss auf einer gipsbetuchten Marmorplatte gibt.

Das grosse Tieftöner-Bassrund hat sich unaufhaltsam freigerüttelt, liegt nun flach am Boden vor den zerrütteten Betonresten seines ehemaligen Gehäuses, wo er als frequenzgesteuertes Luftkissenfahrzeug fungiert und grauenvoll schwebend eine Trümmerspur hinter sich zeichnet, wobei voco fortissimo das Trauerlargo der niedergeschlagenen Feinde, die tiefbewegt ihren Treueschwur bereuen, diese atonale Einlage beispielhaft veranschaulichend vorführt. Der heldenhafte Befreiungskampf einer schmächlich unterdrückten Heimat findet keinen trefflicheren Ausdruck auf dem temporären Bühnengeviert.

Die Zweizoll-Ketten spannen sich, erschütternd verhallen die Chellos des melodischen con spirito majestoso als, noch im selben Bratschenstrich, das herzzerreissende Duett der liebestollen Hauptfiguren folgt, kunstvoll untermalt durch ein trefflich gestochenes Oboen Allegretto, nouancenreich von mezoforte bis pianissimo, die Vitrinenverglasung bildet messerscharfe Risse. Pui mosso sucht die detailierte Gipsbüste vorzeitig teilpulverisiert den Marmor auf. Die wutgepeitsche Altstimme einer verschmäht geglaubten Liebe züngelt rachedurstig durch die Mauerritzen hinaus unter das sternbedeckte Himmelszelt.

Schweissumrandet lauschen meine Ohren dieser phaszinierend schillernden tonalen Perfektion. Die Klangsymetrie wird leicht gestört, als der Fenstersturz einen weiteren lautsprechertranchierten Betonschrank in die Aktion hineinreisst. Just in dem Augenblick, da der zarte Körper der ruchlos hingemordeten Jungfrau trillernd zu Boden schmachtet, neigt sich die gesamte marmorgeflieste Bühnenfläche angemessen mitfühlend vor dem verwelkenden Liebesreichtum. Die vitrinalen Überreste finden selbstsicher den Weg durch das geschmiedete Balkongeländer in den Zuhörerraum, einer Nabelschnur gleich hängt der vollagierende Digitalturm unerreichbar an seinem Powerkabel und ist gewillt, das Grand Final mit 75% Leistung programmgemäss vorzutragen.

Es kostet die letzte noch intakte Mauer des niederbrösselnden Gebäudes, als der teilentblöste Held Contrabass untermalt seinen Harakierie bekannt gibt, das die Kerzenflammen lustvoll um das Gebälk ringelnd begleiten. Das Drama ist wild am wüten, der tenute Chor mutiger Krieger in heftiger Trauer versetzt vivacissimo den Bühnenboden zweigeteilt eine Etage tiefer. Kettengebändigt drücken die Lautsprecherreste in einem orchestralen Kraftakt die störenden Mauerreste endgültig beiseite und dann, kurz nach dem tieftränenrührenden Schlussakt, bekundet der Sicherungsautomat mit grellen Blitzen das Ende der dramatischen Oper in drei Akten.

Eine Zweizoll-Kette wippt noch gedankenverloren, eine verbeulte Silbervase rollt neben die Reste einer Rosenknospe, der Diskplayer läuft quitschend in die letzten Runden, deutlich vernehmbar lispelt er hard-wäär, hard-wäär, bis schliesslich Ruhe einkehrt in der Ruine des Reihenhauses unter den Sternen.

Nein, halt. Dort tröpfelt noch perlend etwas Champagner der Reserve Ration, das Notlicht seitens der Strassenlaterne beleuchtet fahl das begeistert glänzende Augenpaar in der Ecke eines lederbezogenen Ohrensessels...

Also doch!

Man plant bereits das 100-prozentige Drama.

Demnächst in diesem Theater.

... ich gelobe feierlich, nie wieder Bellinis Norma bei Vollmond und Silberwölkchen auf dem Balkon zu hören ...

LIN 8080