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Interview mit Smudo/Die Fantastischen Vier
Mr. Rip führte per E-Mail ein Interview über Kunst, Computer und Zukunftsvisionen.

Smudo beim Football

WildMag: Was ist für Dich Kunst?

Smudo: Der Ausdruck seiner eigenen Gefühlswelt (die natürlich im Wechselspiel zur Umgebung des Künstlers funktioniert) in entsprechende Medien: Malerei, Text, Musik, Tanz usw. usw.

WildMag: Immer mehr Künstler (auch sogenannte "Hobbykünstler") versuchen, ihre Ideen in die (virtuelle) Realität umzusetzen. Wie findest Du diese Entwicklung?

Smudo: Natürlich kann Kunst auch im Netz passieren - letztlich ist diese Art der Kunst sehr verwandt mit Malerei und Film.

WildMag: Allerdings kann man eine starke Wandlung beobachten. Jeder kann Kunst im Internet sehen und hören. Ich muß nicht mehr in ein Museum, ich klicke einfach mit der Maus und wenn mir etwas einfällt, mache ich es selber weil es mir die Software und die Hardware so einfach machen. Wird Kunst somit zu einer Massenware?

Smudo: Kunst war schon immer etwas, das entweder in einer Nische vor kleinem Publikum eine Ausdrucksform gefunden hat, es gab aber auch immer das große Publikum welches Kunst dann in den brisanten Raum zwischen Kunst und Kommerz bugsiert - aber es wird immer beides geben. Kunst am Rechner ist auch nichts wirklich neues - Spieledesigner, Grafikdesigner, Soundtüftler sind oft Künstler; ihre Arbeit hat viel mit Intuition zu tun und mit dem Wechselspiel zwischen ihrer inneren und der sie umgebenden Welt. Dass diese Kunst natürlich auch das Netz als Ausstellungsraum findet, ist doch ein natürlicher und logischer Weg. Trotzdem werden viele Leute immer noch in Nischen nach "ihrer" Kunst suchen und trotzdem wird es auch immer einen Massenmarkt geben - das eine bedingt das andere. Jeder Mensch ist verschieden und hat demnach verschiedene Interessen. Eine Pauschalität wie "Kunst wird zur Massenware" halte ich für völlig haltlos. Alleine diejenigen, die sich von der Kunst abwenden würden um eine eigene Kunst vor kleinem Publikum machen zu wollen, eben *weil* es nur ein Massenmarkt wäre, würde das schon verhindern.

WildMag: Es erscheinen immer mehr Programme, mit denen Musik machen ein Kinderspiel ist, so zum Beispiel "Magix Music Maker". Sind Lieder, die mit solchen Programmen erstellt wurden, auch noch Kunst oder nur das Ergebnis einer Spielerei?

Smudo: Das ist eine gute Frage. Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass die Idee der Ausgangspunkt für alles ist und dass alles weitere danach eine Frage des Handwerks und des Werkzeugs ist. Also wenn ein Autor eine tolle Idee für eine Geschichte hat, dann ist es egal ob er sie mit einem Word- Processor oder einem Bleistift aufschreibt - es kommt drauf an, wie virtuos er sein Instrument bedient und mit welchen Hilfsmitteln. Wenn jemand mit Musikprogrammen überwiegend auf Presets zurückgreift, ist das natürlich wenig künstlerisch und wenig kreativ - wenn er es aber schafft, mit einer wenig flexiblen Software einen neuartigen Song zu machen, dann verdient es die Bezeichnung innovativ. Ein Problem ist, dass der Konsument eine Weile brauchen wird herauszufinden, dass er da auf einen Preset-Song tanzt ;-) - Im übrigen bin ich nicht der Ansicht, dass, wie in der Frage nahegelegt, Kunst und Spielerei nicht zusammengehören - im Spiel kommen einem die besten Ideen. Mir kommen die besten Ideen, wenn ich mich tagelang langweile und mit mir selbst beschäftige und mit meinem Geist sozusagen "spiele". Es gibt auch die berühmte Kreativenstory, wo sich ein Projektteam abends zum Feiern trifft und einen lustigen Abend hat und dabei viele gute Ideen ihr Projekt betreffend bekommt. Voller Begeisterung sagen sie, au ja das machen wir morgen wieder, laßt uns am Nachmittag treffen und noch mehr Ideen bekommen. Dann sitzen sie am nächsten Nachmittag im Konferenzraum und nix fällt ihnen ein. - Die geistige Stimulanz durch Spiel, Spaß und Gesellschaft und das eigentliche Ablenken vom Ernst des Alltags ist die wahre Quelle für Kreativität - kreativ Arbeitende wissen das und gestalten ihren Arbeitsplatz und ihre Umgebung so, dass sie darin gut kreativ sein können und sie entwickeln die Fähigkeit, Ideen die sie bekommen auch auf irgendeine Art und Weise festzuhalten per Aufzeichnung auf irgendein Medium wie Papier oder Laptop oder Tonband. - Das Kuriose an Ideen ist nämlich, dass sie einfach unregelmäßig und unverhofft kommen.

WildMag: An dieser Stelle möchte ich einwerfen, dass mir die besten musikalischen Ideen kommen wenn ich unter einer großen Anspannung stehe. Für grafische Ideen brauche ich mehr Ruhe. Wenn ich beides in Einklang bringen will, dann mache ich das am liebsten beim Auto fahren oder beim einschlafen. Manchmal springe ich dann aus dem Bett, setze mich hin und versuche es zu verwirklichen, beim Auto fahren ist das weniger gut (das mit dem raus springen. Nun gut, weiter im Text ;) ... Konsumierst Du viel Kunst im Internet?

Smudo: Eigentlich überhaupt nicht. Ich bekomme oft Link-Tips von Flash-Kunstwerken im Netz, aber es interessiert mich nicht besonders. - Künstlerischer Output musikalischer Art interessiert mich, allerdings nicht im Netz, sondern auf der Bühne oder auf CD. Rein beruflich höre ich sehr viel Musik, die als Demos den Weg zu mir finden, wobei es immer wieder etwas frustrierend ist festzustellen, wie sehr die Leute diversen Vorbildern nacheifern, als selber neue und originelle Ideen darzustellen; oft sind Bands auch in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung und sind der Ansicht, dass sie nach erst einem Jahr der Zusammenarbeit bereits zu den Sternen, sprich: einem Plattenvertrag greifen können. - Bevor wir unser Label gründeten hatte ich da andere Vorstellungen von dem Beruf des Demotape-Hörens, der Alltag malt die Wirklichkeit in sehr unnebligen Farben. ;-) Darüber hinaus gehe ich in kein Museum und finde auch Bilder uninteressant. Kunst interessiert mich oft im Zusammenhang mit Marketing, also mit den Möglichkeiten und Spielarten, sie an den Konsumenten zu bringen. In diesem Rahmen interessieren mich Arbeiten aus Musik, Film und Computerspiel.

Smudo liest

WildMag: Seit der iMac auf dem Markt ist, versuchen die PC-Hersteller ein neues Design in die Branche zu bringen, wobei die meisten den iMac einfach nur nachmachen und das auch noch sehr schlecht (Intel, AMD). Der iMac hingegen wird gerne von Grafikdesignern gekauft. Glaubst Du, dass einen das Aussehen der Maschine inspiriert?

Smudo: Das glaube ich weniger. Eine Maschine wird gekauft, wenn sie nutzt - in der Regel natürlich. Inspirativ finde ich Design eigentlich nicht. Musik, Gespräche, Bücher, Geschichten im allgemeinen u.ä. inspirieren mich. - Zum iMac: Mac war schon immer eine traditionelle Artworker-Maschine. Apple hätte gerne ein weit breiteres Publikum, aber es ist ihnen nur ansatzweise gelungen, leider. Obwohl ich selbst einen PC habe, finde ich Apple-Rechner großartig, aber ich erinnere mich noch sehr genau, als ich als Teenager auf der Hannovermesse (die später zur CeBIT wurde) am Applestand mir die Nase plattgedrückt hatte bis mich das arroganten Standpersonal mit abwertenden Blick vertrieb. Eines von vielen Beispielen für die damalige arrogante Haltung von Apple, den Freak-User auszuklammern und sich ans elitäre Publikum zu wenden. Zusammen mit der Haltung, Apple-Rechner nicht an Fremdhersteller zu lizensieren ergab sich eine Situation, an der Apple vor ein paar Jahren beinahe Pleite ging. Selbst der sehr sehr populäre iMac wird es nicht schaffen, Apple von seinem Nischendasein im Massenmarkt zu befreien - schade.

WildMag: Was hast Du eigentlich für einen Computer?

Smudo: Im Keller aus meiner Anfangszeit habe ich noch Sinclair ZX81 und Spectrum, VC20 und den 64er natürlich, außerdem einen Commodore Pet-Tischcomputer. Zuhause habe ich einen PIII 450 MHz mit 21 Zoller, da ich ein großer Computerspielfan bin, ist diese Maschine für mich die sinnvollste Lösung zum Arbeiten *und* Zocken. Videospielcomputer sind da ein Atari VCS und ein Vectrex auf das ich sehr stolz bin (einzige Videospielkiste mit eingebautem Vectorbildschirm!) Im Wohnzimmer stehen PSX, N64 und Dreamcast.

WildMag: Wollen wir mal in die Zukunft schauen: Konsolen und andere Computer werden technisch immer besser und immer schneller. Wie real können Computerspiele eigentlich werden? Findest Du die Vision von einem "Holodeck" realistisch oder gar gefährlich?

Smudo: Die Technik geht ihren Weg nicht alleine sondern immer mit dem Menschen. Angst vor der Zukunft ist nicht eine Angst vor der Technik sondern eine Angst vor dem Unbekannten. Die Leute werden kriegen, was sie wollen. Letztlich ist es doch sehr gut, wenn man unterdrückte Wünsche gefahrlos in Spielen ausleben kann - das halte ich sogar für sehr gesund.

WildMag: Glaubst Du, dass Maschinen einmal so weit sein werden, dass sie selber "kreativ" sind und ihre eigene Kunst erschaffen und wenn ja, wie wird das für Dich aussehen (als Vision)?

Smudo: Das ist die Frage nach dem Ursprung der Seele, über die sich viele Philosophen seit tausend Jahren Gedanken machen. Rein theoretisch ist ein physikalischer Sachverhalt immer zu simulieren und sollten die Vorgänge im Gehirn allesamt einer künftig zu entdeckenden Gesetzmäßigkeit gehorchen, könnte man "Denken", wie gesagt rein theoretisch, auch auf dem Papier rechnen. Die Frage ist, ob Seele und Bewusstsein und Kreativität zusammenhängt, oder eine andere Frage ist, ob der begriff "Seele" nicht vielleicht ein Synonym für das bisher unentdeckte in unserem Gehirn ist. Eine weitere Frage wäre, kann das Gehirn sich selbst überhaupt begreifen? Ich bin nun mal auch nur ich und vermag keine dieser Fragen zu beantworten.

WildMag: Zu guter letzt noch einige Fragen zu deinem persönlichen Geschmack. Dein Lieblingsfilm?

Smudo: Da gibt es eine Reihe. JFK über das Kennedy-Attentat finde ich grandios. Ebenso natürlich auch 2001. "When we were Kings" ist eine Dokumentation über den Kampf Foreman gegen Ali in den 60ern in einem diktatorischen afrikanischen Staat (der Name ist mir leider entfallen). Der aktuellste meiner Lieblingsfilme ist aber zweifellos "American Beauty" - ganz ganz großes Storytelling. Mit der Geschichte kann sich jeder identifizieren, der (sage ich mal) mindestens 20 ist. ;-)

WildMag: Lieblingsband?

Smudo: Ich schwöre wenig auf eine bestimmte Band - bei aller Bescheidenheit finde ich Fanta4 ganz klasse ;-) - aber auch Black Crows. Oft sind es aber eher bestimmte Alben oder Songs als eine ganze Band, die die Bezeichnung "Lieblings-" verdienen würden.

WildMag: Lieblingshomepage?

Smudo: Ich bin ein leidenschaftlicher Computerzocker - in diesem Zusammenhang besuche ich oft www.gamesmania.de um aktuelle News zu erfahren. Aber ich nutze das Netz nicht zum Lesen von Mags, sondern oft zur Recherche von Infos und dazu besuche ich, was gerade dazu anfällt. Eine regelmäßig besuchte Lieblingssite wäre z.B. http://simracing.com/alison/gpl, wo ich die interessantesten Infos und Hintergrundstories usw. zu meinem Lieblingsspiel Grand Prix Legends finde.

WildMag: Lieblingsspiel?

Smudo: Wie o.a. GPL - eine Autorennsimulation des Jahres 67. Das einzige Spiel, welches ich nicht spiele um es irgendwann mal "fertig" zu bekommen, sondern schlicht des Fahrens willens. Die realistischste und fesselndste Autosimulation, die mir bekannt ist. Alles andere ist nach GPL nur noch - eben - ein "Spiel". ;-)

WildMag: Welche Zeitung liest Du am liebsten?

Smudo: Ich lese Spiegel, Die Süddeutsche, Die Woche, Gamestar, PC-Player, Videogames, Auto Sport, MusikExpress, Visions, Musikwoche, Bravo usw. usw. Jede Menge - die eine manchmal gerner als die andere - je nach Gemütsverfassung.

WildMag: OK, Schluss damit! Vielen Dank für das Interview und noch eine schöne Zeit.

Smudo: Danke ebenfalls.

Smudo

http://www.smudo.de
http://www.elounge.de/f4/fanta4.html