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Von Eliten, Szenen und Talenten
Tomaes/TAP/WildMag/IMAgE

Als ich neulich - im WildMag #1 Review im TAP.MAG war's - Hellfires Titelbild als "frisch aus dem neuen Quelle Katalog abgescannt" bezeichnet habe, war mados "not amused". Irgendwie ist es ja schon eine uralte Diskussion (da gibt's ja diverse Themen, die immer mal wieder aufflammen: Raubkopien, Gewalt in Videogames ect.) die ich da mal wieder angeschnitten habe...

Die Kernfrage ist: Ist es ok, wenn eine "Grafik" zu 95% ein Foto ist? (Egal, woher gescannt.) Oder ist es "lame", wenn jemand einen Track bastelt, der im Grunde nur aus zwei oder drei geklauten 2 MB-Samples besteht? Ich komme später noch einmal darauf zurück... Vielleicht lohnt sich ein kurzer Blick zurück, wie solche Dinge überhaupt möglich wurden.

Alle, oder sagen wir fast alle Erfindungen der Menschen hatten vorrangig ein Ziel: Zeit zu sparen (man denke an all die Fortbewegungsmittel, Kommunikationssysteme ect.). Ob dieser Drang in dem Wissen der Sterblichkeit (und somit eines nicht unerschöpflichen Zeitvorrats) begründet liegt, mögen Philosophen besser beantworten können als ich. Zeit zu sparen ging oft mit einem weiteren Merkmal der "Erfindungswut" der Menschheit einher: Man wollte das Leben komfortabler, oder einfach unkomplizierter gestalten. Fast all diesen Erfindungen war und ist gemeinsam, dass sie zunächst nur "Eliten" zugängig waren. Soll heißen: Nur eine kleine gesellschaftliche Gruppe (meist jene, die es sich leisten konnten) hatte die Möglichkeit bzw. das Interesse an der Nutzung des Neuen. Man denke an die ersten Autos. Sie waren sauteuer und die Mehrheit mißtraute diesem neuen Verkehrsmittel.

Auch der Computer reiht sich in die Schlange ein. In den 50er Jahren wußte nur eine sehr kleine Gruppe von Wissenschaftlern (meist hatten sie die Dinger selbst gebaut), was ein "Computer" überhaupt ist und wie man ihn bedient (von Programmierung mal ganz zu schweigen). Außenstehende durften nicht einmal den Raum, in dem der Rechner stand, betreten. Sie mussten vor der Tür (an einer Art Schalter) die Lochstreifen abgeben und durften das Ergebnis der Berechnung am nächsten Tag (in Form eines Berges Papier) wieder abholen.

Man sieht: Die tonnenschweren Rechner, die in der 1. Generation noch gar kein richtiges Betriebssystem besaßen, zu bedienen, war nur einem sehr kleinen (elitären) Kreis vorbehalten. Doch mit den Jahren schwand dieser Nimbus. Die Rechner wurden in wenigen Jahren und Jahrzehnten nicht nur schneller (durch integrierte Chips anstatt Röhren...), sondern gleichzeitig kleiner und billiger. Die erhöhte Leistungsfähigkeit führte zu neuen besseren Programmen bzw. Betriebssystemen. Denn wenn ein Rechner schneller wird und mehr Ressourcen (Speicher) zur Verfügung stehen, kann man auch Programme bzw. Betriebssysteme schreiben, die diese Ressourcen auch ausnützen können. Irgendwann kamen auch noch graphische Oberflächen hinzu, die Bedienung wurde dank neuer Ansätze (Fenster-Interface) immer einfacher und auch für den Laien schneller verständlich. Rechner wurden in Massenfertigung hergestellt und immer mehr Betriebe setzten auf EDV-basierende Systeme, um z.B. ihre Verwaltung zu rationalisieren und um die Effektivität zu steigern.

Mit der Homecomputer-Ära schaffte es die Industrie, den privaten Haushalt als Markt zu knacken. Der Internet-Boom löste eine weitere Computerisierungs-Welle aus. Selbst der grösste Ignorant und Technik-Feind kommt im Jahre 2000 nicht mehr um den PC herum.

Um wieder zu meiner Ausgangsfrage zu kommen... Vor 10 oder 20 Jahren musste man, um eine ansprechende Grafik auf dem Bildschirm zu bekommen selbst zeichnen. Scanner gab's zwar schon (glaube ich jedenfalls...), aber für den Hausgebrauch waren die Teile einfach zu teuer. Profesionelle Grafik-Programme gab's auch kaum. Vielleicht konnte man damit einen Kreis oder ein ausgefülltes Quadrat hingekommen, aber im Grossen und Ganzen war die Funktionalität solcher Programme ziemlich beschränkt. Je nach Hardware war auch die Anzahl der möglichen Farben bzw. die Auflösung stark eingeschränkt. Oft hatte man nur 16 Farben zur Wahl, die wenigsten 256 oder gar noch mehr (ich rede jetzt vom Heimbereich, nicht von hochgezüchteten Macs und DTP ect...).

Um feine, ausgeklügelte Logos oder Bilder hinzubekommen. blieb einem oft nichts anderes übrig, als jeden verdammten Bildpunkt einzeln zu setzten (pixeln). Man kann sich vorstellen, dass das etliche Tage, meist Wochen in Anspruch nahm.

Ähnliches gilt für die Musik: Programme gab's (fast) nicht und da die Computer-Musiker der ersten Stunde auch meist ganz passabel programmieren konnten, haben sie sich selber ein entsprechendes Prog zusammen gecodet. Einige haben sogar nur mit einem Asm-Monitor gearbeitet und die Hex-Bytes einzeln in den Rechner gehackt und den Soundchip mehr oder weniger direkt programmiert. Auch hier kann man sich vorstellen, wie unkonfortabel und langwierig das damals war...

Wer heute anfängt am Computer kreativ zu werden, hat's leichter als alle Generationen vorher. Mächtige Grafiktools erlauben jedem, auch wenn er noch so talentfrei ist, eine beeindruckene Grafik in kurzer Zeit zu produzieren. Wenn einem nichts einfällt, klaut man einfach irgendwas, was einem gefällt; verfremdet es, bis das Orginal kaum noch zu erkennen ist; jagt ein paar Effekt-Filter per Mausklick drüber und fertig ist das Meisterwerk, das Omi dir niemals zugetraut hätte. ;-)

Mit Musik ist es inzwischen genauso banal: Jeder hat bestimmt mal diese "Music-Maker" Werbung gesehen. Ahhhrrrggg! Es gibt mittlerweile dutzende Sample-Baukästen, mit denen man in 5 Minuten zum eigenen "Hit" kommt.

Der positive Effekt dabei ist, dass nun jeder ohne theoretische Vorkenntnisse loslegen kann. Der Nachteil ist, dass man Qualität immer mehr mit der Lupe suchen muss. Wir werden überhäuft mit Einheitsbrei von der Stange und jeder Idiot, der 2 Samples zusammenklicken kann, hält sich für einem "Komponisten".

Ein anderer Effekt ist, dass die früheren "Eliten" keine mehr sind. Sie sind nun ein Gruppe unter vielen und gehen in der allgemeinen Anwender-Schar unter. Und das schmeckt ihnen überhaupt nicht. Sie fangen an meckern und zu dissen, dass sich die Balken biegen (siehe coders.ger und anderswo...). Das, was sie einst als Individum definiert hatte, ist nun schlicht und ergreifend nicht mehr da. Die erhöhte Position, in der sie einst waren, und von der sie verächtlich auf andere ("Lamer") herabblicken konnten, existiert längst nicht mehr.

Einen ähnlichen Effekt gibt es, wenn eine einstige Underground-Band plötzlich populär wird. Etliche alte Fans distanzieren sich und reden von "sell-out", weil die identifikations-stiftende Eigenschaft, dass nur Wenige ihre Musik hören und daher in gewisser Weise Teil einer "Elite" sind, plötzlich weg ist.

Um zur "Scan-Diskussion" noch einmal zurückzukehren: Wenn man die Fotos selbst macht, scannt und bearbeitet, ist das kein Problem für mich. Ähnliches gilt für die Musik: Wenn man die Samples mit einem Mikro und der eigenen Akkustik-Guitarre einspielt, oder sie mit Buzz oder ähnlichen Programmen erzeugt und den halbfertigen Song dann mittels Fasttracker zusammenfügt, ist das auch ok (auch wenn man's aufgrund der Dateigrösse gleich ins MP3-Format konvertieren kann...)

Andererseits kann ich von anderen kaum etwas verlangen, was ich selbst nicht (mehr) "einhalte". Auch ich habe die "ja nichts Gescanntes ins Bild pfuschen"-Haltung aufgegeben. Es ist eh' egal. Für die meisten zählt nur noch, ob etwas "gut aussieht". Nur noch wenige Puristen sind übrig geblieben und beschweren sich...

Irgendwie sind wir so oder so alle Stümper. ;-) Ein Rembrandt würde sich totlachen, wie einfach man am PC "malen" kann. Beethoven würde sich wahrscheinlich tot ärgern (wenn er's nicht schon wäre...) über die Horde Technomaker-Kids, die nicht mal einen Notenschlüssel unfallfrei auf ein Notenblatt kritzeln können.

Alles in allem: Habt Spass mit den Dingen, die ihr fabriziert. Versucht euch zu verbessern und Erfahrungen zu sammeln und versucht auszuloten, wo eure Talente wirklich liegen. Dann klappt's auch ohne Scanner. ;-)