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Der Prickingshof
The Update

Praktisch jeder kennt sie, die Kaffeefahrt an sich, aber kaum jemand hat eine solche Reise schon selbst miterlebt, zumindest dürfte das für die unter 60-jährigen unter den Lesern gelten. Somit besteht ja das Risiko, dass all das Wissen, was man im Laufe seines Lebens über Kaffeefahrten angeeignet hat, eine Illusion darstellt, ein Bild einer Veranstaltung basierend auf Vorurteilen und Gerüchten. Und so beschlossen wir, sieben tapfere Studenten, an einer Fahrt zum Prickingshof teilzunehmen. Zum einen, weil wir zufällig gerade ein Prospekt von dort mit der Post bekommen hatten. Zum anderen, weil der Prickingshof der Inbegriff der qualitativ hochwertigen Kaffeefahrt ist, wie die Mutter der Lieblingsmetzgerin meiner Mutter zu berichten wußte.

Der Prickings-Hof Luftbild

27.03.2001, 8:00
Treffpunkt Bushaltestelle. Wir haben uns alle am selben Platz versammelt, um auf eventuelle besondere Ereignisse koordiniert reagieren zu können. Pünktlich erreichte uns der Bus, gefüllt zu etwa einem Drittel, obgleich wir uns an der letzten Sammelstelle befanden... Ob es an MKS oder BSE liegt, dass die Leute Angst vor einem Bauernhof haben? Wir hatten ja schon befürchtet, dass die Fahrt ganz abgesagt wird, aber dem war anscheinend nicht so. Die Busfahrerin, Josie, eine extrem blondierte Mittfünfzigerin im legeren roten Wollpulli, schaut uns verwundert an, heißt uns aber willkommen. Der Rest des Publikums weist einen Altersschnitt von Mitte 60 auf und versucht so auszusehen, als würden sie keine Notiz von uns nehmen.

8:30
Die ersten Autobahnkilometer sind zurückgelegt und Eric packt die ersten beiden Flaschen Bier aus, um mit Melanie den Tag zu eröffnen. Der Rest von uns schaut noch träge aus dem Fenster oder schläft, ganz wie die ältere Generation.

9:00
Der erste Rastplatz wird angefahren. Zum einen, um eine Möglichkeit zum Austreten zu schaffen, zum anderen, um die Fahrtkosten von 20,90 DM einzusammeln. Niemand hat 90 Pfennig klein, aber die Busfahrerin gibt auch kein Wechselgeld raus. Ich frage auch nicht nach, die 10 Pfennig sind mir im Grunde egal. Ich denke nur daran, dass die 10 Pfennig erschlichenes Trinkgeld sich nachher zu gut einer Tüte Pizzabrötchen aufsummieren werden. Wow.

9:45
Gerüchte werden laut, dass der größte Zuchtbulle der Welt verstorben sei. Details werden aber nur im Flüsterton weitergegeben.

10:00
Inzwischen sind die meisten Mitreisenden halbwegs wach, was ganz praktisch ist, da wir soeben am Prickingshof angekommen sind. Noch im Bus begrüßt uns Susanne, die uns zur Verkaufsveranstaltung führen wird. Von ihr bekommen wir auch alle ein blaues Kärtchen, was uns laut Aufdruck dazu berechtigt, ab 15:00 den Gutschein für das Schlemmerpaket zu erhalten. Auf diesem Kärtchen sollen wir auch "Bus 2" vermerken, da wir wohl der zweite Bus an diesem Tag sind.

10:15
Nach dem Durchqueren des halben Bauernhofes, welcher eher wie eine Mischung aus Jahrmarkt, Gasthaus, Supermarkt und Parkanlage gestaltet ist, versammeln wir uns alle im Verkaufsraum. Man sitzt in Sechsergruppen an Tischen, und am Kopf des Raumes liegen schon einige verlockende Angebote wie z.B. eine Matratze auf einer Theke. Susanne kommt zu uns und legt uns nahe, doch die Verkaufsveranstaltung auszulassen, da sie uns sicher nicht interessieren wird, aber da gerade das der Grund war, sagen wir nichts dazu und bleiben.

10:30
Horst stellt sich vor. Horst ist 55 Jahre alt, 1,86 Meter groß, hat eine Frau und vier Kinder und arbeitet seit 11 Jahren auf dem Prickingshof, welcher seit 17 Jahren Verkaufsveranstaltungen organisiert. Recht geschickt erschleicht er sich das Vertrauen des Publikums, indem er ganz pauschal sagt, dass alle anderen Anbieter ("die da draußen") überteuert sind und "uns" über den Tisch ziehen. Das könnten auch alle Anwesenden, die das schon mal mitgemacht haben, bestätigen. Ein paar nicken auch mit dem Kopf, sie mögen Horst. Horst ist ein begeisterter Witzefan, insbesondere über Ostfriesen und alle Arten anzüglichen Humors. Ein Beispiel möchte ich an dieser Stelle zitieren:

"Ein Ostfriese geht regelmäßig zum Barbier und bezahlt jedesmal 6,80 DM. Eines Tages fragt er diesen: 'Wie viel kostet eigentlich ein Rasiermesser?' '20 DM.' 'Dann würde sich der Kauf ja schon beim dritten Mal lohnen. Verkaufst Du mir ein Rasiermesser?' 'Sicher.' Nach zwei Wochen kommt der Ostfriese wieder zum Barbier. Dieser fragt: 'Was führt Dich hier her?' Der Ostfriese antwortet: 'Die Idee mit dem Rasiermesser war gar nicht gut, gleich beim ersten Mal habe ich mir in den Wutzemann geschnitten.' 'Ja wieso das denn?' 'In der Anleitung stand: Vor Gebrauch am Riemen schärfen!'"

Ja, das bringt die alten Leute zum Lachen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Horst weiß genau, was sein Publikum hören will. Später kommt er dann durch geschickte Überleitungen auf das erste Produkt: Die Matratze. Die Matratze hat viele Features, so ist sie z.B. metallfrei. Das macht sie zum einen leicht, zum anderen kann sich der Elektrosmog dann nicht in ihr sammeln. Bei Taschenfederkernmatratzen sammelt sich in den Federn tagsüber die ganze elektrische Strahlung und nachts, wenn man sich hin und her dreht und die Federn sich bewegen, geben sie den Elektrosmog wieder ab und man bekommt Kopfschmerzen. Damit man auch vor den Strahlen vom Metall am Lattenrost geschützt ist, enthält sie gleichzeitig ein Abschirmvlies, was nebenbei noch gegen Erdstrahlen schützt. Horst glaubt zwar nicht an Erdstrahlen, aber sicher ist sicher. Die Matratze hat ein ausgeklügeltes Luftkammersystem, so dass sie sich dem Körper anpasst, und dadurch bekommt man keine kalten Füße und die Wirbelsäule wird geschont. Die Sommerseite ist auch immer kalt und die Winterseite (welche wie ein alter ausgefranster Jutesack aussieht) ist immer warm. Und ganz besonders praktisch ist, dass sie bei jedem Körpergewicht optimal ist. Eine Matratze für alle Größen, das gab's noch nie. Lieferbar ist sie dann auch in 90*190 oder 100*200, bei Bedarf gibt's auch Sonderanfertigungen für Wohnmobile etc.

Eine Frau von vorne rechts darf auch mal probeliegen und bestätigt gleich, dass sie angenehm ist. Horst setzt nach und betont, dass sie überaus angenehm ist. Übrigens hätten auch alle Busfahrer, die zum Prickingshof fahren, eine solche Matratze, und die wissen ja, wo man günstig einkauft, weil die weit rum kommen. Der nächste Grund, warum die Matratze einfach besser ist, wird per Video eingespielt: Wir bekommen einen Bericht von Pro7 zu sehen, in dem gezeigt wird, wie schnell Milben sich in Matratzen sammeln und wie zahlreich sie sich dort vermehren, so dass innerhalb von drei Jahren eine faustgroße Menge Milbenkot zusammenkommt, den man ohne Spezialgeräte nicht entfernen kann. Das gute an der Prickingshof-Matratze ist nun, dass sie aus Latex besteht, und Milben fressen kein Latex, weshalb sich in dieser Matratze auch keine Milben ansammeln.

Genauso wie im Kopfkissen übrigens. Das Kopfkissen enthält keine Federn und ist in der Waschmaschine waschbar. Die Bettdecke enthält auch keine Federn, also hat man auch hier kein Milbenproblem. Ansonsten geht Horst auf diese beiden Produkte nicht näher ein. Das nächste ist sowieso viel spannender: Die Powerdecke.

Die Powerdecke hat ein Magnetfeld (obgleich sie metallfrei ist), was dafür sorgt, dass die roten Blutkörperchen sich schneller bewegen und das Blut flüssiger wird. So kann das Herz sich besser entspannen und man ist am nächsten Morgen fit wie ein Turnschuh. Sicher kennt das Problem jeder von uns: Man geht abends auf eine Silberhochzeit, da gibt's dann lecker was zu essen, und um halb neun ist dann Tanz, und man fühlt sich einfach schlapp, lustlos und müde und möchte gar nicht tanzen. Aber wenn man zuvor auf der Powerdecke geschlafen hat, dann hat man Kraft, ja.

Achja, die Preise. Horst hebt sich die Preise für's Ende auf, damit man sich gar nicht davon ablenken lässt. Im Grunde gibt man ja sowieso viel zu viel Geld für Sachen aus, die man gar nicht braucht. Synthetiköl und Alufelgen für's Auto, Kleider die man gar nicht trägt, die kleinen Taschengeldgeschenke für die Enkelkinder, dabei sollte man doch auch mal an seine eigene Gesundheit denken. Wenn man das alles zusammenzählt, erscheinen die 1150,- DM für die Matratze direkt in einem ganz anderen Licht. Und dazu gibt's ja auch Geschenke. Wahlweise ein Topfset, das zwar nicht so gut wie eines von AMC ist, das gibt Horst gerne zu, aber dafür ist's ja auch geschenkt. Oder ein Grill, der nicht nur grillen sondern auch aufwärmen, Kuchen backen und spülen kann. Ohne Geschenk kostet die Matratze aber auch nur 850,- DM... Kopfkissen und Bettdecke gibt's schon für 998,- DM, dann sogar mit zwei Geschenken, wobei man diese auch gegen noch ein Kopfkissen und noch eine Bettdecke tauschen kann. Zusammen mit der Matratze und einem Geschenk ist man mit 1300,- DM am Start. Die Geschenke kann man auch einzeln für 700 DM erwerben. Die Powerdecke ist ausgerechnet heute ein besonderes Schnäppchen, mit 1700 DM plus Geschenk. Und wer noch eine andere Zusammenstellung wünscht, kann die bei Susanne erfragen, die macht dann einen guten Preis. Wer die Matratze mitnimmt, muss die dann auch nicht bis nach Hause tragen, weil der Busfahrer ein Taxi bestellt, das Susanne hier im Saal noch Vorkasse bezahlt. Und wer selbst das nicht möchte, dem wird sie eben nach Hause geschickt, natürlich ohne Aufpreis. Es ist auch kein Problem, wenn man zwei oder drei Matratzen kaufen will.

Und dann gibt es natürlich noch das Spezialreinigungsmittel für alle die, die eine Matratze oder eine Bettdecke gekauft haben, was Lanolin enthält. Das wirkt besonders gegen Milben, kann man aber auch in die Spülmaschine tun oder in das Scheibenwischwasser im Auto, denn damit gehen sogar die toten Insekten weg. Wer nichts gekauft hat, kann auch eine Flasche für 20 DM erwerben, die hält dann auch drei Monate.

Und für die Hände gibt zu guter letzt auch eine Creme aus Murmeltieröl, welches erwiesenermaßen die Hautporen öffnet, einzieht, und sie dann wieder schließt, so dass es die am schnellsten einziehende Creme überhaupt ist. Horst geht auch mit der Flasche rum und jeder der möchte bekommt einen Klecks auf die Hand. Zum Glück widersetze ich mich, denn schon kurz darauf merkt man, dass die Creme widerwertig penetrant nach Kamille riecht. Dafür erzählt uns eine Frau vom Nachbartisch, dass das gut gegen Falten ist, dass wir aber alle noch so jung aussehen und das dafür wohl noch nicht brauchen.

Wer eines der Flaschenprodukte kauft bekommt auch gleichzeitig ein Los für die Lotterie am Nachmittag, bei der ein halbes Schwein zu gewinnen ist. Das ist aber kein Argument für uns, weshalb wir weiterhin standhaft bleiben. Genauso wie übrigens bei den Speisen und Getränken, die gereicht wurden, so kostet z.B. ein Wurstbrot 4 DM und ein Kaffee 5,50 DM. Eine Kreidetafel nennt auch einen "Bullenschluck 0,7l" für 25 DM, was auch immer das sein mag.

Schweine

14:00
Die Verkaufsveranstaltung ist vorbei und es gibt Mittagessen. Für 18,50 DM bekommt man eine bäuerliche Riesenmahlzeit, und weil wir so nett waren, dürfen wir wahlweise statt Salzkartoffeln auch Pommes Frittes haben. Wollen wir aber nicht. Wir gehen statt dessen raus und besuchen den Spielplatz. Kein Hinweisschild verbietet das Spielen von jungen Erwachsenen, und so schaukeln wir ein wenig. Nur zwei Schilder untersagten das Hochlaufen der Rutsche, aber das wollen wir sowieso nicht. In einer bäuerlichen Imbissbude findet sich auch eine Möglichkeit, Currywurst für 3,50 DM und Eis für 2,50 DM zu erwerben, was mal wirklich fair ist. Allerdings kaufe ich auch hier nicht, weil ich irgendwie keinen Hunger habe, vielleicht habe ich beim Schaukeln einfach zu viele Tucs verspeist.

15:00
Wir begeben uns zurück in den Verkaufsraum und erhalten für jedes blaue Kärtchen ein grünes. Jetzt gilt es noch zwei Stunden totzuschlagen, bis die Fleischausgabe stattfindet. Wir schauen uns noch ein wenig im Hofe um, drei von uns besichtigen die Tier- und Traktorschau, zu der ich jetzt keine Details liefern kann, außer dass alles durch Plexiglasscheiben von den Besuchern separiert ist. Der Zuchtbulle ist übrigens wirklich tot, genauso wie Bauer Ewald. Die Freilandtierschau ist wegen MKS abgesagt, obgleich man uns versicherte, dass das eine reine Vorsichtsmaßnahme sei. Der Supermarkt erinnern unsere Potsdammer Mitstreiter ein wenig an die alten Zeiten, da man mangelnde Produktvielfalt durch größere Mengen jedes einzelnen Produktes wettzumachen versucht.

Bauer Ewald

16:00
Wir sitzen in einem Flur verteilt auf zwei Bänken und plaudern bzw. schlagen die Zeit tot. Das Radio erzählt uns ein wenig vom gerade stattfindenden Castor-Transport und wir erfahren von unserer Busfahrerin, dass sie zwar wirklich eine dieser Matratzen hat, diese aber geschenkt bekam.

16:15
Wenige Meter entfernt entdecken wir den kulturellen Höhepunkt des Tages, einen Alleinunterhalter, der Tanzmusik spielt. Der Anblick der Tänzer verschreckt uns und wir machen uns auf den Weg, das Kühlhaus zu suchen, wo es Wurst, Eier, Brot und Champignons geben soll.

Wurst

16:30
Das Kühlhaus erkennt man an der langen Schlange Menschen, die auf die Ausgabe warten. Da wir nichts besseres zu tun haben, reihen wir uns ein, und schon bald nehmen wir unsere Schlemmerpakete in Original-Bauer-Ewald-Plastiktüten in Empfang.

17:00
Zurück im Bus verstauen wir unsere Mitbringsel, gut 10 kg Wurst, 7 kg Brot und etliche Champignons, und warten auf die Heimreise.

Insgesamt muss ich sagen, dass die Fahrt zum Prickingshof genau das ist, was man sich so unter einer Kaffeefahrt vorstellt. Die Verkaufsveranstaltung muss man wirklich miterlebt haben, man muss das Publikum gesehen haben, wie es sich für die angebotene Ware begeistert, wie es den Worten des Horsts folgt, wie es bei magnetischen Powerdecken leuchtende Augen bekommt. Man muss gesehen haben, wie sich unbedarfte ältere Leute gewissenlos sinn- und wirkungslose Dinge verkaufen lassen. Nicht um während der Veranstaltung zu lästern, wie es wohl laut Horst einige Studenten vor uns taten, sondern einfach nur um sich unterhalten zu lassen, um selbst gesehen zu haben, dass es das alles wirklich gibt. Ich habe immer gedacht, dass die Geschichten übertrieben waren, aber es ist die Wirklichkeit.

Genauso wie Wirklichkeit ist, dass wir im WG-Kühlschrank keinen Platz mehr haben, weil zu viel Wurst drin ist. Bis zum Erscheinen dieser Ausgabe sollte sich das aber gelegt haben.

#coders.ger, 28.3.2001:
*** Topic is '<updt> zufällig jemand aus aachen mit interesse an größeren mengen wurst hier?'

The Update^Copro